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| Im Café der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, November 2025 |
Still, aber lebendig
Im Silent Book Club in der Landesbibliothek Karlsruhe treffen sich Menschen, um jeder für sich, aber in Gemeinschaft, zu lesen.
Angenehme Ruhe breitet sich im Café der Badischen Landesbibliothek aus. Es ist 17 Uhr 30 an diesem letzten Donnerstag im Monat. Knapp zwei Dutzend Interessierte sind gekommen. Manche sitzen bereits versunken über ihren Büchern, andere treten vorsichtig an die Rundtische heran, fragen leise, ob sie hier richtig sind. Die Stimmung ist freundlich undruhig, ein kurzes Nicken, ein nettes Lächeln… Mehr braucht es nicht, um miteinander ins Gespräch zu kommen, bevor die Stille beginnt. Willkommen beim Silent Book Club Karlsruhe! Ein Treffpunkt für alle, die gern lesen und sich dabei mit Gleichgesinnten am wohlsten fühlen.
Einer der Gäste ist Michael Bächler. „Ich bin hier aus purer Neugier und gehe öfter mal zu Veranstaltungen der Landesbibliothek“, sagt er. Vor ihm liegen Thomas Manns „Buddenbrooks“. Obwohl er Ü70 ist und literaturaffin und selbst auch schreibt, hat er den Klassiker noch nie gelesen. „Jetzt ist es mal an der Zeit“, lacht er. Zu Hause würde er selbstverständlich auch zum Lesen kommen, aber der Silent Book Club sei „schon spannend und mal was anderes“.
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| Blick in Richtung Theke im Café, November 2025 |
Was genau den Reiz dieser Treffen ausmacht, lässt sich schwer in Worte fassen. Vielleicht ist es die Mischung aus Gemeinschaft und ganz persönlicher Versenkung. Die Bewegung begann in San Francisco und wurde vor zehn Jahren offiziell gegründet. Inzwischen hat sich der Silent Book Club weltweit ausgebreitet, inklusive rechtlich geschütztem Namen. „Wer mitmachen will, muss sich beim Silent Book Club anmelden und eine Genehmigung bekommen“, erklärt Katrin Hesse aus dem Pressereferat der Landesbibliothek. Seit einem Vierteljahr ist sie dort in ihrem Amt. Die Idee des gemeinsamen stillen Lesens hat sie sofort begeistert. Gebühren fallen keine an, nur die Zustimmung des internationalen Netzwerks.
Zum Treffen bringt man sein eigenes Buch mit oder man findet in der Bibliothek ausreichend Auswahl. Die Landesbibliothek präsentiert im Foyer extra Neuerwerbungen, darunter auch aktuelle Bestseller. Man muss diese Bücher allerdings regulär ausleihen, um sie dann zum Silent Book Club mit ins Café nehmen zu können.
Die Mischung ist wild, wer da so alles liest: Die Komponistin Veronika Reutz Drobnić etwa hat sich mit Fachliteratur zur Kognitionswissenschaft eingedeckt. Im Café sitzt sie über einem dicken Wälzer und erarbeitet eine Abhandlung über die Wirkung von Musik. „Ich will verstehen, wie Visuelles und Klänge neuronal verarbeitet werden“, sagt sie. Der Silent Book Club sei für sie jetzt ein schöner Ausklang des Nachmittags.
Die meisten aber haben eigene Bücher dabei. Auch Marina Tomei. Vor ihr liegt das 400-Seiten-Taschenbuch „Der Salzpfad“ von Raynor Winn. „Ich quäl mich gerade ein bisschen“, sagt sie ehrlich und fügt kopfschüttelnd hinzu: „Wie kann man so unvorbereitet eine so große Wanderung antreten?“ Sichtlich lebt sie mit dem, was sie gerade liest, mit. In dem autobiografischen Roman geht es um ein Paar, das alles verliert und obdachlos eine lange Wanderung beginnt. Auch Marina Tomei ist aus Neugier gekommen, doch anders als manche, sagt sie: „Lesen kann ich in jeder Umgebung. Da kann ich gut abschalten!“
Über eine Stunde herrscht wohltuende Stille. Nur Rascheln von Buchseiten, gelegentliches Tassenklirren, vereinzelt leise Gespräche. Schließlich erhebt sich Katrin Hesse. „Es fällt mir immer schwer, Menschen beim Lesen zu stören“, sagt sie. Doch genau das gehört dazu. Wer will, kann jetzt erzählen, was man gelesen hat. Alles ist freiwillig. Das unterscheidet diesen Buchclub von klassischen Lesegruppen, in denen oft Druck entsteht, ein bestimmtes Buch rechtzeitig zu beenden oder in Diskussionen irgendetwas Kluges beizutragen. Hier geht es darum, Bücher, Menschen und Getränke zu genießen, „ohne Hausaufgaben“.
Schließlich berichtet ein Leser begeistert von dem Science-Fiction-Epos „Die drei Sonnen“ von Liu Cixin, einer Trilogie über den Erstkontakt mit Außerirdischen. Nur dass dieser Kontakt erst in hundert Jahren stattfinden soll. „Was macht so eine Ankündigung mit einer Gesellschaft?“, fragt er in die Runde. Eine andere Leserin empfiehlt lachend den tragikomischen Unterhaltungsroman „Wedding People“ von Alison Espach. Die anderen hören aufmerksam zu, manche notieren sich Titel, andere nicken interessiert.
Seit Oktober gibt es den Silent Book Club in Karlsruhe. „Beim letzten Treffen war der Austausch am Ende eher verhalten“, erzählt Hesse. Diesmal dagegen plaudert man entspannt. Man trifft sich immer am letzten Donnerstag im Monat, nur im Dezember nicht. Das nächste Treffen ist dann am 29. Januar. Und vermutlich wird es wieder still. Und lebendig.

