Donnerstag, 29. November 2018

Zukunft Innenstadt

Kaiserstraße Marktplatz Karlsruhe, November 2018

Wie die Stadt mit Befragung und Gutachten am Jahr 2030 bastelt

Was wird wohl später aus der „City“ werden? Wenn einmal alle Baustellen, Bagger, Schubkarren und Absperrungen verschwunden sind. Wenn die stadtplanerischen Träume der Architekten mit hellen Granitböden am Marktplatz und Wasserspielen hinter der Pyramide in Erfüllung gegangen sein werden. Wenn durch die Kaiserstraße nie wieder Straßenbahnen rollen und viel Freiraum fürs Flanieren herrscht. Das Flanieren ist im Zusammenhang mit Kombilösung und neuer Innenstadtgestaltung so ein geflügeltes Wort in Karlsruhe geworden. Gemeint ist natürlich konsumieren und shoppen. Aber das sagt man halt nicht so deutlich. Außer Christian Hörmann vielleicht. Der Diplom-Geograph arbeitet für eine Münchner Beratungsfirma, die für Karlsruhe ein Gutachten zur Zukunftsfähigkeit der Karlsruher City als Einzelhandelsstandort 2030 erstellt. „Konsum ist nichts Schlimmes, daraus entsteht Umsatz und Investitionskraft“, beschwor Hörmann Mitte November seine Zuhörer im Stephanssaal in der Ständehausstraße. Zu dieser öffentlichen Infoveranstaltung gekommen waren vorrangig Vertreter des Karlsruher Einzelhandels, weil sie sich – zwischen Optimismus und Pessimismus – über die Weiterentwicklung des Einzelhandelsstandorts Karlsruhe sorgen. 

Sieben Herren gaben an jenem Infoabend „Forum Zukunft Innenstadt“ bereitwillig Auskunft, dass es auch 2019 mit den Baustellen weitergeht, dass die Marktplatzumgestaltung nächstes Jahr beginnt, dass ab 2020 die ersten Testläufe der unterirdischen Straßenbahnfahrten aufgenommen werden. Die sieben Männer waren der moderierende Oberbürgermeister Frank Metrup, Uwe Konrath von der Kasig, Alexander Pischon von der KVV, Martin Kissel vom Tiefbauamt, Martin Wacker von der Karlsruhe Marketing Event GmbH sowie Clas Meyer vom Wissenschaftsbüro Karlsruhe und eben Christian Hörmann. 

Vor einem Jahr begann Hörmann plus Team mit seinen Befragungen, unter anderem mit Interviews am „Point of Sale“, wie Hörmann das nennt, also am Ort des Verkaufs. In einer umfangreichen Analysephase wurden zudem bereits durchgeführte Befragungen des Amts für Stadtentwicklung mit einbezogen, ebenso Daten aus der Regionalbefragung und weitere Einzelbefunde. Auch eine Vollerhebung des Bestands an Flächen und Einrichtungen gehört zu dem Gutachten. Auf diese Weise lassen sich die Grunddaten der Kaufkraft feststellen und man kann einen regelrechten Stadtplan des wirtschaftlichen Einzugsgebiets zeichnen, zwischen Mühlburger und Durlacher Tor, zwischen Schloss- und Stadtgarten. Gegenwärtig werden alle Ergebnisse zu einem Maßnahmenkonzept zusammengetragen, damit sich im nächsten Jahr der Gemeinderat damit befassen kann.
„Die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen früher in die Innenstädte kamen, gibt es nicht mehr“, referierte Hörmann in seinem kurzen Vortrag. Für so einen Satz erntet er freilich keinen Beifall. Stattdessen erhält er aber schweigenden Zuspruch, wie dringlich die Lage ist. Denn Digitalisierung und Online-Handel werden fortschreiten, vermutlich schneller als die flanierenden Karlsruher auf der Kaiserstraße. Werden die auch 2030 noch in den Läden einkaufen? 

Einer Passantenbefragung Hörmanns zufolge nutzen 13,2 Prozent der Befragten ihr Smartphone zur Navigation, 7,3 Prozent für Preisvergleiche, 7,1 Prozent zur Recherche von Öffnungszeiten sowie 2,2 Prozent zur Produktsuche. Insofern: Es gibt eine wichtige Schnittmenge zwischen On- und Offline. Handynutzer suchen durchaus gezielt vor Ort in der Innenstadt nach Informationen zu den stationären Gewerbetreibenden. Schon heute… Oder: Heute noch…? Welche Rolle bei der Beantwortung solcher Fragen eine Gutachter-Empfehlung oder ein kommunalpolitischer Beschluss spielen wird, bleibt abzuwarten. Mit der Website karlsruhe-erleben.de jedenfalls ist die Stadt schon heute auf einem Weg, das wirkliche Innenstadtleben mit der digitalen Welt zu verknüpfen. 

In erster Linie geht es bei „Zukunft Innenstadt“ darum, einen Treffpunkt zu erstellen, wo man sich wohlfühlt und sagt: „Da möchte ich hin.“ Je länger sich Menschen dann dort in der City aufhalten, desto wahrscheinlich ist auch, dass sie dort konsumieren. In Karlsruhes Innenstadt wohnen viele tausend Leute, es arbeiten viele tausend hier und viele besuchen die Läden, nutzen die Dienstleistungen, gehen zur Universität oder nehmen am Kulturleben teil. Der Vorteil Karlsruhes ist, dass alles relativ eng auf einem überschaubaren Raum stattfindet und fußläufig – oder wenigstens in ein paar Fahrradminuten – erreichbar ist. Die darin liegenden Potenziale will man bei der „Zukunft Innenstadt“ nun noch optimieren. Die Innenstadt soll noch mehr Leute anlocken. Auch heute schon. Und dafür hat die Stadt – nach einem ausgeschriebenen Wettbewerb – ein Kommunikationskonzept ausgewählt. Bestimmte Aktionen, Adressen oder Termine werden jeweils mit einem gelben Signet „Highlight Innenstadt“ versehen. Wenn auf Flyern und Plakaten, in Schaufenstern und Vitrinen das Signet wiederholt auftaucht, so hofft man, wird es einen Wiedererkennungseffekt in der Öffentlichkeit geben, auf dass man sich zur Innenstadt, zum Innenleben der City, hingezogen fühlt. Um nochmals die Aufmerksamkeit der Menschen an bestimmten Plätzen in der City zu fokussieren, wurden im Oktober die großen gelben Schreibtischleuchten aufgestellt. Eine Werbeagentur hat das mit dem Highlight Karlsruhe wörtlich genommen. „Die haben das, wie ich finde, genial umgesetzt“, schwärmt Frank Mentrup. Es sind vier Leuchten. Sie jeweils beleuchten das, was die Stadt mitteilen möchte: Sanierung hier, Umbau da… „Das Tolle ist, dass die Leuchten alle zwei, drei Monate ihren Standort wechseln.“ Nächstes Jahr wird eine Leuchte höchstwahrscheinlich am Kronenplatz stehen. Der Kronenplatz und der Europaplatz nämlich gehören – laut Befragung – zu den unbeliebtesten Plätzen der City. Laut Hörmann gilt dort SOS – die Sorge um Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit.
Einen richtig passenden Reim vermag man sich als Außenstehender nicht zu machen über das ganze Gedöns mit „Zukunft Innenstadt“. Es gab sogar auch eine extra Befragung an Studierende, damit Karlsruhes City zukünftig auch oder besonders für diese Zielgruppe (cool, trendig, schlau, wenig Geld) attraktiv wird. Clas Meyer stellt hierzu Ergebnisse vor. Die Zielgruppe der angehenden Akademiker klagt wohl vor allem über mangelnde Bereitstellung öffentlicher Toiletten. Wie dem auch sei – eine Tendenz lässt sich am Ende doch erkennen: „Zukunft Innenstadt“ will vereinheitlichen. Mentrup beklagt zum Beispiel das wuselige Durcheinander der Beschilderung von historischen Erklärpfaden, Hotelwegweisern und anderen „verschiedenen Formensprachen“. Das sollte – nach noch ungereiften Wünschen - genauso übersichtlicher werden wie die Fassaden vieler Geschäftshäuser. Deren Eingänge und Schaufenster könnten doch ähnlich wie Boutiquen in Center-Passagen einheitlich umrahmt werden. Corporate Design für die City sozusagen. Sowas jedenfalls ist angedacht und wird politisch diskutiert werden müssen. Quirlige Vielfalt und stadtgestalterischer Wildwuchs werden es da schwer haben. Ebenso wie die vielen, vielen Lieferautos der Paketzusteller! Die will man in Zukunft in der Innenstadt am liebsten gar nicht mehr sehen. Hörmann spricht von der „letzten Meile“ der Zustellung. Wie kann die online bestellte Ware an die Leute kommen, die in der City wohnen. Bislang parken die Lieferwagen von DHL, UPS, Hermes und den anderen „alles“ zu, mit Warnblinker mitten im Weg. Das soll anders werden. Wie, weiß man noch nicht. Aber unbedingt vor 2030! (svs)

 „Zukunft Innenstadt“ heißt bei der Stadt Karlsruhe ein so genanntes IQ-Korridorthema, wobei IQ für „innovativ und quer“ steht. Quer zu den ansonsten gewohnten Bahnen der Stadtverwaltung werden dabei in einem weitläufigen Korridor über mehrere Dezernate des Rathauses und auch mit Partnern außerhalb der Stadtverwaltung innovative Möglichkeiten für die Stadt Karlsruhe erarbeitet. So ein IQ-Korridorthema ist nicht nur ein vorübergehendes Projekt, sondern ein dauerhafter Prozess. Bei „Zukunft Innenstadt“ – Partner ist hier unter anderem der Einzelhandel – geht es darum, wie die innere City fürs Wohnen, Arbeiten und Konsumieren attraktiver wird, wenn einmal die vielen Baustellen verschwunden sein werden. Für die von den Straßenbahnen dann befreite Kaiserstraße stehen zum Beispiel viele Nutzungsideen im Raum. Welche davon zukunftsfähig sind, ist aber unklar. Über ein Gutachten der CIMA Beratung + Management GmbH aus München soll zum Beispiel die Zukunftsfähigkeit der Karlsruher City als Einzelhandelsstandort 2030 erforscht werden.

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