Vorstellung im Tollhaus Kulturzentrum am 8.4.2024 |
Mündliche Erzählkunst vom Feinsten
Schriftsteller Rafik Schami begeisterte im Tollhaus Karlsruhe seinen aktuellen Roman vor
Glücklich bedankt sich Rafik Schami gleich zu Beginn beim Publikum. So Viele sind gekommen. Während draußen an diesem Montagabend laues Frühlingswetter schmeichelt, wollen diese rund 600 Leute lieber im Kulturzentrum Tollhaus drinnen bei ihm sein. „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ heißt sein neuer Roman, den der 77-jährige renommierte syrisch-deutsche Schriftsteller jedoch nicht als konventionelle Lesung präsentiert. Nein. Rafik Schami liest nicht. Er erzählt. Er spricht frei, ohne Skript, alles aus dem Gedächtnis.
Und damit versteht er es, den ganzen Saal in einen spannenden Imaginationssog der orientalischen Storys seines Buches zu ziehen. Rafik Schami bringt seine Zuhörer ebenso zum Lachen wie zum gedanklichen Innehalten übers Gut und Böse im Menschen. Und auf meisterhafte Weise vermischt er Realität und Fiktion, was seiner mündlichen Erzählkunst eine Wucht an Authentizität gibt, die in der deutschspachigen Gegenwartsliteratur ihresgleichen sucht.
Wirklich wahr ist, dass Schami, der aus Damaskus stammt und seit 1971 in Deutschland lebt, einen wohlhabenden Vater hatte, der sich aus Leidenschaft für Bücher einst eine stattliche Bibliothek einrichtete. Wahr ist wohl auch, dass die Sammlung 2014 im Krieg nach einem Raketeneinschlag verbrannte und dass Rafik Schami sich in gemeinsamer Arbeit mit seiner in Syrien lebenden Schwester um den Nachlass von sechs Büchern kümmert, die die Katastrophe überstanden. Ein Buch davon sei aus dem 18. Jahrhundert, als sich in Arabien nach 400 Jahren Regentschaft der Osmanen kleine lokale Herrscher zu etablieren wussten, um nach ihren Ideen zu regieren, mitunter entgegen mancher engherzigen Sippentradition. König Salih, von dem das Buch unter anderem handelt, sei so einer gewesen. Er habe seine Tochter, um ihr Erziehung und bessere Bildung jenseits des Palastes zu ermöglichen, als verkleidetes Mädchen durch die Lande ziehen lassen…
Spätestens an diesem Punkt steckt man in Rafik Schamis Fiktion. Weil die Königinmutter bei einem Attentat stirbt, verfällt die Tochter in schwere Depression und wird erst gerettet, nachdem ein junger Mann wochenlang versucht, unterhaltsame Geschichten zu erzählen. Daher der Buchtitel des Romans. Er ist eine Hommage an die Märchen von Tausendundeiner Nacht, aber auch an Miguel de Cervantes, der nicht unähnlich behauptete, die Storys von Don Quijote auf einem orientalischen Bazar aufgegabelt zu haben. Bei seinem mündlichen Vortrag verzichtete Rafik Schami nicht auf Gegenwartsbezüge. Dazu gehörte auch der Appell: „Kauft beim lokalen Buchhandel, bestellt Bücher nicht im Internet. Die Buchläden dürfen nicht sterben.“ Es waren die Buchläden im deutschsprachigen Europa, wo Rafik Schami in jungen Jahren Lesungen geben konnte. So wurde er, obwohl ihn Presse und Literaturkritik mied, dennoch einem größeren Publikum vertraut. Heute füllt er große Säle. Das war nicht immer so.
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